Interview
In einer mobilen, schnellen Welt sind Bilder, wie die von Thomas Arntz wie Stolpersteine. Statisch, aber bewegend. Oberflächlich banal, aber hypnotisch in der Reihe. Wer sich von seinen Bildern einfangen lässt, wird ausgebremst und begegnet sich im besten Fall selbst. Und das ist dann nicht das Spiegelbild im Schaufenster oder unverantwortlich überdramatisierte Statisten im Reality-TV, sondern ein Inneres.
Ich bin gespannt darauf, wer dieser Mann persönlich ist und versuche mich mit ihm zu verabreden. Und das ist nicht einfach. Nach mehreren verschobenen Verabredungen, treffen wir uns zu einem Spaziergang. Nicht im Park – durch die Straßen von Köln.
Es ist schwierig sich mit Dir zu treffen. Du bist viel beschäftigt.
Mh, ja. Nicht immer sichtbar, aber vieles beschäftigt mich. Da empfinde ich es oft als störend, etwas anderes machen zu müssen.
Ich kämpfe mit dem Widerstand. Seitdem ich meine Zeit so verteilen muss, ist der innere Widerstand und die Angst vor einer Besatzungsmacht noch größer geworden.
Du hast Angst vor einer Besetzung? Wie kann ich das verstehen?
Das ist ganz einfach die Befürchtung nicht genug Zeit für meine eigenen Gedanken zu haben.
Ich habe 20 Jahre als Dienstleister Pixel-Anordnungen gestaltet und musste am Anfang erst lernen, die Wünsche eines Kunden zu lesen. Wie ein Wahrsager. Wenn man das zu lange macht, weiß man nicht mehr, was man selbst gut und richtig findet, weil, so wie ich es bin, daran gewöhnt ist, mit anderen Augen zu sehen. Ich brauche inzwischen fast vier Wochen, um von diesem Trip wieder runter zu kommen und zu mir zurück zu finden.
Sind Deine Bilder deshalb so konzentriert und streng?
Ich mache die Bilder ja für mich. Meistens sind das Bilder, Ausschnitte aus der Welt und Momente im Zeitfluss, die ich so sehe, wenn ich unterwegs bin. So ein Motiv sehe ich dann so vor mir und versuche das mit der Kamera zu registrieren.
Wie ein Schnappschuß?
Oft ist es einer von vielen Schnappschüssen. Wenn ich mit der Kamera unterwegs bin, bin ich nach den ersten Bildern wie in einem Rausch. Überall springt mich etwas an. Alle möglichen Situationen erregen plötzlich meine Aufmerksamkeit und ich kann gar nicht mehr aufhören Bilder zu machen. Frag meine Familie! – Wenn die sehen, ich nehme meine Kamera mit, gibt’s schon lange Gesichter. Alles ist gut, bis zum ersten Bild.
Du machst Bilder und guckst dann mal, ob was Gutes dabei ist?
Nein. Ich mache das Bild, das ich sehe…das ich mir vorstelle. Ich muss herausfinden, was das ist, was mich interessiert. Meistens verstehe ich das Motiv schnell – also das, was ich darin sehe – dann ist es nur noch eine Frage von Perspektive, Brennweite, Belichtung, Schärfe, Ausschnitt, usw. damit ich meinen Gedanken transportieren kann. Oft weiß ich schon, was ich digital verändern werde. Wenn jemand sieht, wie ich fotografiere, versteht der gar nicht, was ich da eigentlich will…der sieht das gar nicht.
Wieviel ist an Deinen Bildern gerechnet?
Das kommt darauf an. In den letzten Jahren immer weniger – es war nie besonders viel gerechnet. Ich nutze Lightroom und Photoshop eigentlich wie eine Dunkelkammer. So, wie wir das vor 30 Jahren im Labor gemacht haben, nur digital. Damals war ja auch schon einiges möglich!
Vor 30 Jahren hast Du eine Ausbildung bei Prof. Robert Häusser angefangen.
Genau.
Weißt Du, warum er Dich zum Lehrling genommen hat?
Damals habe ich darüber gar nicht nachgedacht. Ich habe zwar fotografiert, aber mit Fotokunst hatte ich nichts am Hut. Aber, wenn ich mir die Bilder, die ich dem „Meister aller Meister“ (Codename für Robert Häusser) damals gezeigt habe, glaube ich verstehen zu können, was ihn interessiert hat. Ich habe viel experimentiert mit einer Spiegelreflexkamera, die ich von einem Freund ausgeliehen hatte. Doppelbelichtungen, Langzeitbelichtungen, in Farbe und Schwarzweiß. Schatten, Wolken, Reflexe…und ein paar Bilder sind wie aus der Geschichte der Fotografie genommen. Da habe ich intuitiv die Entwicklung des Mediums im Schnelldurchlauf durchexerziert. Das hat ihm sicher gefallen. Außerdem war ich gut erzogen und schüchtern – der perfekte Lehrling.
Wenn Du von Fotokunst nichts wusstest, wie kamst Du dann auf Robert Häusser?
Man hat mich bei ihm beworben! Mein älterer Bruder hat eine Bewerbung in meinem Namen hingeschickt. Dann hat seine Frau bei uns angerufen, später gab ein 2 stündiges Gespräch in Mannheim.
Ein paar Tage später kam dann eine Dokumentation über einen Fotografen im Fernsehen. Und das war Robert Häusser. Ich bin vom Sessel gefallen!
Was glaubst Du ist das wichtigste, das Du von ihm gelernt hast?
Sehen! Das ist das A und O. Das erste, was ich gelernt habe ist wirklich sehen. Nicht durch die Kamera, mit dem Auge machst du das Bild. Das hat er immer wieder gesagt:“Du musst sehen! Jaa, Die Kamera scharfstellen, des kann jeder. Negative entwickeln, des kann jeder! Aber hingucken, das ist das Entscheidende!“ (sprichts mit leichtem schwäbischen Akzent).
Haben Dich seine Bilder beeinflußt?
Ja, sicher. Als ich zum ersten Mal Vergrößerungen von seinen Bildern im Wasser hab’ schwimmen sehen, fand ich das ganz schön beeindruckend. Ich hab’ mich gefragt, wie man so was hinkriegt.
Vergrößert hat er seine Bilder eigentlich immer allein. Manchmal, vor Ausstellungen, musste ich bei großen Vergrößerungen helfen: nachbelichten, abhalten…überhaupt das große Fotopapier musste ja in der Dunkelkammer von der Rolle geschnitten werden. Da durfte ich helfen.
Aber ich hatte immer das Gefühl, diese Bilder zu verstehen. Die haben mich angesprochen. Ich hatte das Gefühl, ich verstehe die Sprache in den Bildern.
Hast Du ihn kopiert?
Ich hab’ fotografiert, was das Zeug hält. Ich habe immer „aufgeräumte“ Bilder machen wollen.
Das hat sich so ergeben. Sicher auch, weil Häusser ja mit mir viel Architektur fotografiert hat.
Viele Aufträge von Helmut Striffler oder Carlfried Mutschler. Das war ja mein Ausbildungsplatz: moderne Architektur – und Reproduktionen von Gemälden oder Bilder von Skulpturen: Robert Schad, O.H.Hajek…
Wir sind meistens zu den Künstler ins Atelier oder die Austellung gefahren: Dieter Krieg, Christiane Meather, Erwin Bechtold, Rolf Gunter Dienst, Klaus-Jürgen Fischer, Robert Schad, Hajek in Stuttgart. Als wir bei einer Gelegenheit in Stuttgart waren, haben wir einen Abstecher zu Willi
Moegle gemacht! Da haben wir Kaffee getrunken und die beiden Herren hatten Spaß mich zu verblüffen. Da lagen ein paar Vergößerungen auf dem Tisch, Baryt, mit einem unglaublich perfekten Hochglanz. Wenn du mit Robert Häusser lernst, hast du einfach viel mehr zu sehen bekommen, als nur Häusser-Bilder. Das war vielleicht der kleinste Teil.
Natürlich kannte ich bald alle Bilder, die er ausgestellt hat. Titel, Entstehungszeit und die ein oder andere Geschichte dazu. Während ich da war, haben wir die ganzen Bilder neu gerahmt, verpackt und sortiert. Die Kartons mußten beschriftet werden, das habe ich ganz oft gemacht – die lagern jetzt im Archiv im Reiss-Engelhorn-Museum, habe ich gesehen….
Das war vor 30 Jahren.
Wahnsinn, wie lange das her ist.
Was ist dann passiert?
Ich bin nach der Ausbildung nach Köln gegangen, wo ich bis jetzt gestrandet bin. Hab’ hier noch hinterher studiert.
An der Kunsthochschule.
Genau. Ich habe Regie und Drehbuch studiert (Film und Fernsehen) und wollte eigentlich nichts mehr wissen von der Fotografie. Nach der Ausbildung habe ich die Zeit in Mannheim abgeschlossen. Ich hatte die Nase voll.
Warum? Was ist passiert?
Ich habe eine Menge gelernt und gesehen in der Zeit. Als ich aus dieser Welt herauskam, mußte ich feststellen, daß das niemand wirklich interessierte. Qualität interessierte anscheinend niemand. Alle quatschten von Blenden, Brennweiten und Filmmaterial. Alle wollten Hochglanz und kleine Preise. Fotografie ist eine Dienstleistung: Der Billige gewinnt – und setzt plötzlich lächerliche Standards. Ich wollte die Leute in Khakiweste und Designerbrille nicht mehr sehen. Ich wollte keine cowboybestiefelten Marktschreier mehr hören. Das war Anfang der 90er!
Du hast nicht mehr Fotografiert?
Kaum. 94 habe ich wieder angefangen Menschen zu fotografieren. Das hatte ich ja nie gemacht während meiner Häusser-Zeit. Das war eine Abkehr von dieser Ästhetik.
Aber das ist Dir nicht ganz gelungen, oder?
Was meinst Du? Die Portraits?
Nein, in eine andere Richtung zu arbeiten…
Richtig interessant wurde das fotografieren für mich wieder, als es digital wurde. Am wenigsten habe ich die Laborarbeit gemocht. Zuerst kam das Einscannen! Wunderbar. Ich habe sofort Photoshop angeworfen, wenn ich Negative zurück bekam. Kurz drauf hatte ich meine erste Digitalkamera. Meine analoge Kamera habe ich seit dem nicht mehr benutzt – seit 1997/98 nicht mehr!
Für manche war der Abschluß ein Sprungbrett in die Öffentlichkeit. Hast Du dich nicht getraut?
Ich habe einfach zu viel gemacht, glaube ich. Ich paßte nicht so richtig in eine Schublade. Außerdem war ich schon abgedriftet in die Fernseharbeit und dachte, das wäre ein Weg. War aber eine Sackgasse in ganz vielen Aspekten.
Inwiefern?
Als ich dort angefangen habe, war die goldene Zeit des Fernsehens gerade am auslaufen. Ganz viele kreative, produktive Menschen habe da gearbeitet und dann wurde alles „excellisiert“. Die Liste wurde das Gesetz. Aber: mit einer Liste kann man gut Einkaufen gehen, aber nicht kreativ Arbeiten. Kreativität funktioniert nicht nach Fahrplan. Zeitplan, Technikplan, Mitarbeiterplan, Raumplan und Geräteplan, einen Meetingplan und eine Toolsliste… da fragt ein Kreativling doch nur noch, was er eigentlich machen soll, wenn alle so tun, als wüßten sie genau, was da entsteht.
Das ist der Fluch der Planung: so zu tun, als wüßte man, was passiert – als könnte man das Ziel schon genau sehen.
Du hast weitergearbeitet….
…weil ich abhängig bin! Ich bin ein Junkie. Das ist schwer von der Medien-Nadel wegzukommen. Das vereinnahmt und
isoliert. Aber…
Aber…..?
…ich habe ja zum Glück noch andere Möglichkeiten. Film und Fotografie zum Beispiel. Das sind ja 2 Bereiche, in denen ich nie aufgehört habe zu arbeiten. Mit der Fotografie hätte ich vielleicht stärker in die Öffentlichkeit gehen sollen. Aber es ist ja nie zu spät! Als Robert Häusser 2013 gestorben ist, hatte ich den Gedanken, ich kann das, was ich von ihm gelernt habe nicht einfach „verschwinden“ lassen. Ich war sein letzter Lehrling. Er hat mich, ob ich wollte oder nicht, zum Teil einer Geschichte gemacht. Was macht jemand, der mit so einer Erfahrung aufgeladen ist? Ich fühle mich ein bißchen wie ein Grenzgänger zwischen Neuem und Altem, zwischen analog und digital.
Der Meister fragte mich einmal, wozu ein Computer gut sei? Das war 1987/88! Ich habe ihm erklärt, was so ein Computer macht und kann. Er fragt:“Und kann mir der Computer auch sagen, ob ein Bild gut ist?“. Ich antworte, daß das natürlich nicht geht, daß der nur kann, was man ihm sagt. Und er fragt darauf:“Und wozu brauch’ ich dann einen Computer?“. Das ist eines der eines Mißverständnisse, das immer noch in ganz vielen Köpfen ist. Der Computer löst keine Probleme, kann nichts nach menschlichen Maßstäben beurteilen und wird nie Intelligenz haben, wie ein Lebewesen. Der Computer ist nur ein Werkzeug. Der ist so blöd, wie der Nerd, der ihn programmiert, und der User, der dessen Befehle für seine Sache nutzt.
Du bist Fotograf, Designer oder Künstler?
Ich bin Künstler, mehr als mir lieb ist. Das ist vielleicht etwas, wogegen ich nichts tun kann. Ein romantischer Renaissance-Mann. Überhaupt nicht für diese Welt gedacht.
Etwas schön und praktisch zu machen, eine Aussage zu kommunizieren, ist das eine. Eine Frage in einer Gestaltung zu stellen eine Andere. Das ist unbequem. Das ist Kunst.